Berufsbezug oder umfassende Handlungskompetenz ?
Der Beitrag des Berufsschulreligionsunterrichtes in den Bildungsgängen der Teilzeitberufsschule des Berufskollegs
Diskussionsbeitrag von Dietrich Horstmann
In der Berufsbildungsdiskussion der letzten Jahre ist der „Berufsbezug“ neben „Handlungsorientierung“ zu einem der zentralen Begriffe geworden.
Der folgende Beitrag kann keine umfassende Analyse bieten. Er reflektiert auf der Basis der eigenen Realitätswahrnehmung als Berufsschulpfarrer in Duisburg die Situation. Dabei geht es zunächst um die Interessen, die dabei im Spiel sind. Sodann versuche ich im zweiten Teil definitorische Abgrenzungen zum Begriff „Berufsbezug“. Aus den Richtlinien NRW wird deren Handlungsbegriff vorgestellt. Daran anschließend wird begründet warum „umfassende Handlungskompetenz“ geeigneter scheint, die Didaktik der Berufsschule zu begründen. Dies mündet in Konsequenzen für den BRU. Abschließend wird versucht, theologische Begründungszusammenhänge für einen handlungsorientierten BRU anzudeuten.
1. Die Interessenlage
a. Die Auszubildenden
Erwerbstätigkeit ist für die Lebensplanung der meisten Jugendlichen von zentraler Bedeutung. Aber ein lebenslang ausgeübter Beruf gehört angesichts der ökonomischen Veränderungen immer weniger zum Kern ihrer Identität. Überhaupt Arbeit zu haben, hat Vorrang vor einem „Beruf“. Schon diese Relativierung des Berufes verbietet eine didaktische Einengung des BRU auf den Beruf. Das Leben der Auszubildenden umfaßt nicht nur den Beruf. Freizeit, Partnerschaft, Selbstkompetenz und Perspektivengewinnung sind ihnen ebenso wichtig. Die Auszubildenden würden deshalb “ Berufsbezug“ im engeren Sinne als primäre didaktische Leitlinie für den BRU ablehnen. Sie schätzen den „Freiraum“ selbstbestimmten Lernens im BRU im Kontrast zum verweckten Lernen. Vor allem aber müssen sie sich ihre gesamte Lebenswelt angesichts der Vielfalt der Wahlmöglichkeiten selbst zusammenfügen; denn festgefügte Muster gibt es nicht mehr.
b. Die Schule
Die interessenpolitisch gesehen starke Stellung der „Wirtschaft“ drängt die Bildungsaufgabe der BS immer mehr an den Rand. Ein möglichst enger „Berufsbezug“ der Bildungsangebote scheint für die Schule ein Mittel zur Legitimation der Berufsschule gegenüber dem dualen Partner zu sein. Andererseits wissen Schulleitungen und Lehrkräfte, daß sie den Interessen der Betriebe nicht zu sehr entgegenkommen dürfen. Durch zu einseitigen Berufsbezug würde der Lernort Schule überflüssig. Dennoch ist die Bereitschaft, den umfassenderen Bildungsauftrag zurückzustellen bei Schulleitungen und -ministerien im Wachsen. Bei den Lehrern ist dagegen ein Festhalten an der wissenschaftlich fundierten Fachlichkeit festzustellen: Dies richtet sich gegen einen zu engen Berufsbezug, aber vor allem gegen eine puristische Handlungsorientierung im Sinne von Produktorientierung.
c. Die Ausbildungsbetriebe
Unter Rationalisierungs- und Kostendruck verbunden mit kurzfristigem Gewinnstreben ist für viele – aber nicht für alle – Betriebe die Reduzierung der Schulzeiten wichtig. Obwohl alle seriösen Kostenrechnungen – auch aus der Wirtschaft belegen, daß Ausbildung sich langfristig „rechnet“, schlägt das Streben nach sofort zu realisierenden Erträgen immer mehr durch. Mit dem Argument „Berufsbezug“ im Sinne von sofort verwertbarer Arbeitsleistung wird eine Reduzierung / „Verdichtung“ von Unterricht vor allem im berufsübergreifenden Bereich gefordert. Hier ist auch häufig vom „Praxisbezug“ die Rede, so als ob Praxis ohne Reflexion als solche eine bildende Funktion habe. Berufsbezug ist in diesem Kontext ein Kampfbegriff zur Sicherung ökonomischer Interessen vor allem beim traditionellen Handwerk und im Einzelhandel, die unter hartem Wettbewerbsdruck stehen und deshalb jede Arbeitsstunde der Auszubildenden zu benötigen meinen. In der Tendenz ist es also das Interesse, die Arbeit zu „entberuflichen“ und auf „Jobs“ zu reduzieren.
d. Die berufliche Bildung / Berufspädagogik
Von seiten der Wissenschaft im Berufsbildungsbereich, von den Spitzenorganisationen der Wirtschaftsverbänden und den Gewerkschaften wird mit dem Konzept der Handlungsorientierung eine Verknüpfung von beruflichen Handlungssituationen und schulischen Lernsituationen zum Erwerb von humanen, sozialen, fachlichen und methodischen Kompetenzen mit dem Ziel einer umfassenden Handlungskompetenz verfolgt. Dabei ist offen, an welchen Lernorten oder mit welchen Fächern diese Kompetenzen erworben werden.
Ob die Berufsschule dafür langfristig notwendig ist, ist umstritten, ebenso, ob es weiterhin Fächer geben soll. Vor allem der inhaltliche Beitrag von Deutsch, Politik, Religion und Sport steht immer wieder zur Debatte. Die Eingriffe der Wirtschaft in die Inhalte dieser Fächer mit dem Hinweis auf angeblich fehlenden Berufsbezug nehmen zu.
e. Politik
Die Debatte um den Berufsbezug in der Politik ist von der neoliberalen Globalisierungsdrohung einerseits und den steigenden Zahlen von Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz bestimmt. Angesichts dieses Druckes geben die Parteien – in unterschiedlichem Ausmaß – immer mehr den Forderungen der Wirtschaft nach und kürzen den berufsübergreifenden Bereich zugunsten der berufsbezogenen Fächer. Die Organisation des Unterrichts wird „berufsbezogen“ vorgenommen. Eine Sonderstellung nehmen die Grünen ein. Sie fordern eine fundierte Obligatorik in der Berufsschule in Abgrenzung von reinen Wirtschaftsinteressen, wollen aber den konfessionellen RU durch LER ersetzen. Die Programme, die den Jugendlichen Angebote zur Ausbildung und zum beruflichen Einstieg zu machen, sind weitgehend vom Erwerbssystem losgelöst. Sie zeigen die Dilemmata der Politik angesichts der Wandlungen im Beschäftigungssystem.
f. Kirche und Religionspädagogik
Die Ev. Kirche bietet ein uneinheitliches Bild, weil sie weder bildungspolitisch noch didaktisch abgestimmte und einheitliche Konzepte hat. Der „Orientierungsrahmen“ ist eine nicht verbindliche Arbeit der Religionspädagogischen Institute und der AEED und wirkt „überholt“ ( 1991 ). Auf der Basis der Denkschriften, vor allem des Sozialwortes der Kirchen, müßte dringend ein Konsens gefunden werden, um den Stellenwert von Arbeit und Beruf und der Religion in der BS zu begründen. Dabei ist erstaunlich, daß die jüngste Denkschrift „Handwerk als Chance“, 1997, den Berufsschulreligionsunterricht überhaupt nicht erwähnt und weithin unktritisch konservative wirtschafts- und gesellschaftspolitische Vorstellungen der Handwerksverbände übernimmt.
Eine fundierte religionspädagogische Position muß den Beitrag des BRU zum Lebensraum „Beruf“ ebenso wie zu allen anderen Lebensräumen deutlich machen. Der Grundkonsens mit der Berufspädagogik und den KMK Vereinbarungen insgesamt scheint vorhanden: „Umfassende Handlungskompetenz“ entspricht auch dem Anliegen der Religionspädagogik. Diesen Anspruch aber wird die Religionspädagogik nur im Verbund mit den anderen Fächern des berufsübergreifenden Bereichs leisten können.
2. Definitorische Abgrenzungen
Der Begriff „Berufsbezug“ ist nicht nur interessenpolitisch vielschichtig. Auch sachlogisch sind Abgrenzungen notwendig.
Ich unterscheide einen weiteren von einem engeren Berufsbezug: Also Bezüge zum Beruf an sich und Bezüge zum konkreten Ausbildungsberuf. Es ergeben sich dabei Überschneidungen, z.B. bei den biografischen und den individuellen Bezügen.
Die jeweils angeschlossenen Problemfragen versuchen in erster Linie mögliche Fragerichtungen der Auszubildenden oder Fragen, die ihre Interessen im Blick haben, aufzunehmen. Sie machen deutlich, daß der BRU von den Subjekten her denkt und damit die persönliche und soziale Handlungskompetenz im Kontext von „Beruf“ im Blick hat und sich nicht primär an Prinzipien oder Bildungsgehalten, an beruflichen Handlungsfeldern oder an durch Ausbildungsordnungen festgelegten schulischen Bildungsgängen orientiert.
2.1 Bezüge zum Beruf an sich
Bei diesem weiteren Berufsbezug wird Beruf in einem größeren Kontext gesehen: Biografie, Gesellschaft, Wirtschaft und globale Situation.
Bezug zum Leben des Einzelnen ( Biografischer Bezug )
Hier geht es darum, welchen Stellenwert „Beruf“ überhaupt für die Lebensplanung haben kann.
– Inwieweit soll ich überhaupt einen Beruf lernen , wenn ich in meinen gewünchten Beruf sowieso keinen Ausbildungsplatz erhalte ?
– Wozu muß ich überhaupt arbeiten ? Es gibt angesichts der Knappheit von Erwerbsarbeit eine Fülle von Alternativen zum Beruf : Aussteigen – kriminell werden – Jobben – Lottoge- winn – Versorgung durch die Sippe – Schwarzarbeit – Ehrenamt.
– Warum soll ich mich für eine ohnhin ungewisse Zukunft quälen ? Spaß haben ist angesagt.
– Brauche ich für die Lebensplanung etwa zur Familiengründung einen Beruf ? Jobben reicht.
– Was leistet der Beruf für das persönliche Wachstum ? Welchen persönlichen Sinn bietet er ?
– Wie kann ich einen Beruf und meine Grundüberzeugungen, Glaube und eigene Ideale mit – einander vereinbaren ?
– Was bedeutet es für meine Lebensplanung, wenn Phasen beruflicher Tätigkeit und Phasen von Arbeitslosigkeit oder unbezahlter Familienarbeit einander ablösen ?
Bezug der Gesellschaft zum Beruf ( Sozialer Bezug )
Hier geht es darum, welchen Stellenwert „Beruf“ für den Staat und die Geselllschaft hat und umgekehrt, wie gesellschaftliche Veränderungen auf den Beruf zurückwirken.
– Wie wird angesichts des „Endes der Erwerbarbeitsgesellschaft“ die Zukunft aussehen?
– Inwieweit ist die Verteilung von Reichtum noch an Arbeit und Leistung im Beruf gebunden ?
– Wie sieht eine gesellschaftsverträgliche Verteilung von Arbeit, Arbeitszeit und Freizeit aus ?
– Wie ist der Zugang zum Beruf für Männer und Frauen ?
– Wie wird mit Arbeitslosen umgegangen ?
– Inwieweit soll es eine für alle geltende arbeitsfreie Zeit geben ( Feiertag, Sonntag ) ?
– Wie werden unterschiedliche Interessen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verhan- delt ?
– Inwieweit ist berufliche Bildung staatliche Aufgabe ?
– Wie soll die Altersversorgung geregelt werden ? Soll sie weiterhin überwiegend aus Erwerbs- arbeit erwirtschaftet werden ?
Bezug der Wirtschaft zu Beruf ( Ökonomischer Bezug )
Hier geht es um volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Bezüge des Berufs.
– Welchen ökonomischen Nutzen hat – geregelte – Berufstätigkeit für die Gesellschaft ?
– Inwieweit ist berufliche Bildung Aufgabe der Wirtschaft ?
– Welche Rahmenbedingungen für den Beruf sind für den wirtschaftlichen Erfolg notwendig ?
– Welches Entlohnungssystem ist ökonomisch und gesellschaftlich sinnvoll ?
– Wieviel Steuern sollen von wem aufgebracht werden ?
– Darf alles produziert werden, was möglich ist ( Produktethik ) ?
Weltweite Bedeutung von Beruf ( Globaler Bezug )
Hier geht es um die aus der globalen Situation sich ergebenden Bezüge des Berufs.
– Welche Bedeutung haben Berufe und deren Leistungen angesichts der „Globalisierung“ ?
– Wie sind die Probleme : Arbeitslosigkeit, Ausbeutung, Kinderarbeit, Benachteiligung der Frauen und die aus ihr folgenden weltweiten Probleme wie z.B. Migration zu lösen ?
– Welche religiösen und kulturellen Traditionen wirken auf den Beruf und das Berufssytem ein ?
– Welchen Beitrag leisten die Berufe zu Frieden, Gerechtigkeit, Schöpfung und Participation ?
2.2 Bezug zum konkreten Ausbildungsberuf
Hier geht es also um den jeweiligen Ausbildungsberuf des Auszubildenden und die betriebliche Realität. In diesem Sinne wird „Berufsbezug“ zumeist gebraucht. Es handelt sich dabei um eine Engführung.
Bezug des Auszubildenden zum konkreten Beruf ( Individueller Bezug )
Hier geht es um den Berufsbezug der Auszubildenden im engeren Sinne in seiner Ausbildungssituation also die „Innenseite“ des Erlebens im Beruf .
– Welchen Bezug zu meinem konkreten Ausbildungsberuf habe ich ? Wunschberuf ? Notberuf ?
– Welche persönliche Erfahrungen mache ich in meinem Ausbildungsberuf ?
– Was trägt meine Ausbildung zu meinem Selbstwertgefühl z.B. durch das verdiente Geld,
zur Bewährung meiner Fähigkeiten bei ?
– Wie gehe ich mit Versagen um ?
– Wie wehre ich mich gegen Mobbing ?
– Wie kann ich durch meinen Beruf meine Fachkompetenz und meine soziale Kompetenz
erweitern ?
– Wie kann ich in meinem Ausbildungsverhältnis „Chef“ meines Lebens bleiben/werden ?
Bezug zu den konkreten Berufsanforderungen ( Funktionaler Bezug )
Arbeitsplatzbezug / Ausbildungsbezug
Hier geht es um den Bezug zum konkreten Arbeitsplatz und seinen Anforderungen in der Ausbildung
– Inwieweit trägt meine Arbeit zur Verbesserung des Betriebsergebnisses bei ?Wem nutze ich ?
– Erhalte ich dafür angemessene Vergütung ?
– Ist mein Arbeitsplatz nur rein funktional oder nimmt er auf menschliche Bedürfnisse Rück- sicht ? Wieweit muß ich meine Persönlichkeit aufgeben ?
– Sind die Arbeitbedingungen sozial ?
– Welche Konflikte erlebe ich am Arbeitsplatz ?
– Wie sind die Beziehungen am Arbeitsplatz ? Habe ich Mitbestimmungsmöglichkeiten ?
– Welchen Platz in der Hierarchie des Betriebes nehme ich ein ?
– In welche moralischen Dilemmata führt mich die Ausbildung ?
– Kann ich etwas von meinen Idealen verwirklichen ?
– Was kann ich alleine oder mit anderen zusammen tun, um meine Situation zu gestalten ?
3. Umfassende Handlungskompetenz in beruflichen und außerberuflichen Situationen als Schlüssel für die berufliche Bildung und des Religionsunterrichtes
Zumeist wird Berufsbezug im engeren Sinne als rein funktionaler Bezug zu einen Arbeitsplatz / Ausbildungsplatz definiert. Zusammen mit dem Begriff im weiteren Sinne könnte „Berufsbezug“ durchaus als ein Schlüssel der Berufspädagogik dienen.
Der so umrissene Berufsbezug im umfassenden Sinne blendet aber die anderen Lebenswelten der Auszubildenden aus: Freizeit, Partnerschaft, Familie, Wohnen, Konsum, Selbstfindung …
Diese weiteren Lebenswelten sind aber aus der Sicht der Auszubildenden, einer ganzheitlichen theologischen Antropologie sowie der modernen Berufsbildung mindestens ebenso wichtig. Deshalb scheint es angebrachter zu sein, als Generalschlüssel für die Berufliche Bildung den Begriff der „umfassenden Handlungskompetenz in beruflichen und außerberuflichen Situationen“ zu benutzen. Dabei ist mit „Situation“ nicht nur das singuläre Erleben gemeint, sondern die jeweilige Lebenswelt und die Erfahrungen, die dort gemacht werden.
Als ein ausfgeführtes Beispiel dafür mögen die Richtlinien für NW 1995 – zur Erprobung unter der Bedingung der Einarbeitung des Berufsbezuges freigegeben 1998 – dienen. Sie definieren : „Diese Richtlinien nehmen die Überlegungen zur Entwicklung von Handlungskompetenz in der beruflichen Bildung auf. Unter Handlungskompetenz wird die Fähigkeit und Bereitschaft des Menschen verstanden, in beruflichen und außerberuflichen Situationen problemorientiert, sachgerecht und verantwortlich zu handeln. Dies wird in Qualifikationen beschrieben.
Unter Handlungskompetenz wird im Religionsunterricht die Bereitschaft und Fähigkeit verstanden, in (Lebens-)situationen ( also beruflichen und außerberuflichen ! )
authentisch,
angemessen,
kritisch,
solidarisch
und zukunftsoffen zu handeln.
Handeln ist hier weit gefaßt als inneres und äußeres christliches „Tun“. Dabei wird für den Religionsunterricht zwischen den Handlungsdimensionen Wahrnehmen, Kennen, Urteilen, Mitbestimmen und Hoffen unterschieden.
Lebenssituationen sind im Religionsunterricht unter religiöser Perspektive zu sehen. In diesen Richtlinien wurde dafür die eschatologische Perspektive der Verheißung gewählt. Sie soll die Bestimmtheit des Lebens von Gott, der in Lebenssituationen auf uns zukommt, ausdrücken.“
( Richtlinien Ev. Religionslehre für die Berufsschule, Soest, 1995 S . 14f )
Entgegen dem üblichen Sprachgebrauch werden hier bewußt die sonst rein funktional zu verstehenden „Qualifikationen“ auch für umfassendere persönliche „Kompetenzen“ angewandt. Eine genaue Aufteilung von bloß beruflich verwertbaren Fähigkeiten ( Ausbildung ) und darüber hinaus reichenden persönlichen und sozialen Befähigungen ( Bildung ) ist unmöglich. Insofern setzen sie einen umfassenden Begriff von Berufsbezug voraus. Sie gehen aber über diese berufliche Perspektive hinaus, weil die beruflichen Situationen ein zu begrenztes Lernfeld darstellen, um weiterreichende Handlungskompetenz zu erreichen.
Die Richtlinien sind also umfassend auf die gesamte Lebenwirklichkeit bezogen und verbieten eine Engführung auf „Berufsbezug“. Besonders wichtig ist dabei die Mitwirkung der Schüler bei der Konstruktion von Unterrichtsvorhaben: Mit ihnen zusammen sind Situation, Qualifikation und Themen miteinander im Diskurs zu vermitteln; denn sie sollen selbständig ihre Unterrichtsvorhaben aushandeln, weil es darum geht, daß sie sich selbständig in ihren Lebenswelten behaupten und Verantwortung übernehmen.
4. Konsequenzen für den BRU
Es geht also dem BRU um umfassende Handlungskompetenz in beruflichen und außerberuflichen Situationen. Dabei ist es durchaus wünschenswert, möglichst viele Kompetenzen an den beruflichen Handlungsfeldern zu orientieren und auf den Beruf bezogene Lernfelder zu finden. Konkrete Arbeits,- Ausbildungs- und Berufssituationen haben also Priorität auch für den BRU. Das bedeutet: Das Fach Religion wird sich nicht mehr isoliert legitimieren und durchführen lassen. Es hat sich noch mehr auf fächerübergreifendes Lernen einzustellen.
Wegen der Spezialisierung der Berufe und ihrer unterschiedlichen Nähe zur gesamten Realität des Lebens werden das Ausmaß und das Gewicht der beruflichen Situationen allerdings sehr unterschiedliche Berücksichtigung finden. Im sozialpädagogischen Bereich werden ganzheitliche Situationen eher anzutreffen sein als in Ausbildungsgängen für die industrielle Produktion. Ein ausschließlicher und oft krampfhaft gesuchter Berufsbezug verbietet sich also.
Der BRU kann sich darin aber nicht erschöpfen. .
Wie andere Fächer in beruflichen Schulwesen bearbeitet der BRU wegen seiner ganzheitlichen Orientierung auch Situationen in anderen Lebenswelten der jungen Generation ( z.B. Selbst- und Sinnfindung, Partnerschaft, Freizeit und Konsum, Gesundheit und Klärung religiöser Einstellungen und Haltungen… ). Diese haben zwar indirekt auch einen Bezug zum Beruf, weil sie die Stabilität und Leistung der Person wesentlich mitbestimmen, aber sie gehen darin nicht auf. Deshalb müssen in unterschiedlichem Umfang Lernsituationen hinzugenommen werden, die weder einen weiteren noch einen engeren Berufsbezug haben.
Vor allem aber muß gewahrt bleiben, daß die jungen Erwachsenen einen Lernraum behalten, in dem sie frei über Methoden, Inhalte und Ziele des Unterrichts (mit-)entscheiden können. Die Abmeldemöglichkeit schützt diesen Lernraum zur freien Konstruktion von alternativen Möglichkeiten, Probehandeln und Kreativität, offenem Austausch, Aneignung aktuellen Wissens jenseits von Vorgaben, Phantasie für Gegenwelten und selbstgewählten Projekten. Zweckfreies „Transzendieren“ im wörtlichen Sinne ist ein wesentliches Proprium des BRU, das junge Erwachsene brauchen und gerne annehmen.
5. Theologische Begründungen für die „umfassende Handlungskompetenz“
Mit Blick auf den „Berufsbezug“ scheinen mir theologisch folgende Begründungszusammenhänge wichtig:
1. Unter der eschatologischen Perspektive der Verheißung sind Lebenssituationen immer schon bestimmt von Gott, der in Lebenssituationen auf uns zukommt. Deshalb sind sie als solche Gegenstand des BRU. Es gibt keine Lebensbereiche, die auszunehmen wären oder sich als besonders geeignet für den BRU erweisen.
2. In der unbedingten Annahme des Menschen durch Gott wurzeln Befreiung, Glück und Sinn des Lebens für sich und andere in Beruf und anderen Lebenwelten.
3. Der Wert und die Würde eines Menschen hängen nicht an dem Maß seiner beruflichen Leistungsfähigkeit. Beruf und Arbeit können also nicht alleine bestimmend sein.
4. Zur Handlungskompetenz aus christlicher Perspektive im Beruflichen gehören deshalb bewertende Handlungen ( Diskurse ) wie z.B. : Inwieweit entspricht der / mein Beruf der Verantwortung für die Befreiung des Menschen, seiner Würde und seinem persönlichen Wachsen ?
Oder z.B. im globalen Kontext : Wo fördert und wo hindert der Beruf den Einzelnen und das Berufssystem die Gesellschaft, zusammen mit anderen in Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfungsgemäßheit zu leben ? Wie kann umfassende Teilhabe aller ermöglicht und erweitert werden ?
Aus theologischer Sicht kann also der BRU nicht affirmativ berufliche Praxis sanktionieren.
5. Im Interesse einer authentischen, angemessenen, kritischen, sozialen und zukunftsoffenen Kompetenz wird er auch Gegenwelten und Alternativen aufzeigen müssen: Er ist eben in allen Lebenssituationen letztlich auf sie Transzendierendes, das in dem Symbol „Gott“ zusammengefaßt wird, bezogen und nicht auf den Beruf allein. Dieser Bezug auf „Gott“ aber ist kein Bezug zu fertigen Antworten oder Wahrheits- oder Wertsystemen, sondern ein Angebot, sich im Kontext der vielfältigen Traditionen selbst eine Lebenswelt zu schaffen, die Zukunft eröffnet.
Für die konkrete Arbeit zum Thema Beruf im BRU verweise ich auf meinen Artikel : . Dietrich Horstmann, Meine Ausbildung und mein Beruf, Kompetenzen erwerben mit lebendigem Lernen (TZI ), in : Handbuch Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, Gütersloh 1997, S. 357ff
und das BRU – Magazin Nr. 26, „Thema:Arbeit“ , 1997 .