Modernisierungsverlierer



Modernisierungsverlierer

Hauptthese: Große Teile der jungen Generation sind in den 80er Jahren ist von Politik und Wirtschaft zu Verlierern gemacht worden.( Bielefelder Forschungsgruppe – W. Heitmeyer u.a. )

Generative Themen

Die von jungen Leuten – mit Berufsausbildung ! – im Religionsunterricht gewünschten Themen machen es deutlich : Sterbehilfe – im Klartext : “Wer hilft mir, wenn ich nicht mehr kann, möglichst schnell und schmerzlos zu sterben ?” ( mit 17 Jahren )

Tod – “Wer bewahrt mich mit 18 vor dem sozialen Tod”, “Gibt es ein Leben für mich noch vor dem Tod – oder soll ich mich gleich von Videos und heavy metal zudröhnen lassen ? – Innerlich den Abflug machen ?”

Abtreibung – “Bin ich erwünscht – oder will man mich abtreiben ?” bzw. “Lohnt es sich noch Kinder in die Welt zu setzen ?”

Spiritismus – “Wenn meine eigenen Kräfte nicht mehr reichen, könnten mir übersinnliche vielleicht solche vermitteln oder wenigstens die dunkle Zukunft erhellen und Sinn stiften ?” Die Magie wirds schon richten.

Was muß mit den Kindern und Jugendlichen angestellt worden sein, daß sie solche “generativen Themen” selber wünscht ?

Zur Lage

– Die Mehrzahl rechnet noch zu ihren Lebzeiten mit dem langsamen Ende der Welt infolge ökologischer Katastrophen. Sie haben kein Zutrauen in die Ökologiepolitik der Koalition/ Europas/der Industrieländer und schätzt die Bereitschaft der Industrie, eine umweltverträgliche Produktion aufzubauen als gering ein. Jugend ohne Zukunft und Hoffnungen auf Überleben

– Die Wirtschaft und die Politik haben auf die neuen Technologien gesetzt und die dabei entstehende hohe Arbeitslosigkeit bewußt in Kauf genommen. Teile der Jugend wurden so zu “Modernisierungsverlierern” gemacht – abgespeist mit Sondermaßnahmen, Warteschleifen in Schulformen ohne Berufseinmündungen oder Ausbildungsstellen in zukunftslosen Berufen im Handwerk. Hauptsache weg von der Straße.

Die Folge : ein hoher Sockel an nicht vermittelbaren jungen Erwachsenen – angefüllt mit großen Hoffnungen, am materiellen Segen teilhaben zu können – nun mit Versagergefühlen in der Clique auf der Straße …

– Die bei uns nicht ausgebildeten Fachkräfte aber holt man aus der ehemaligen DDR und dem Ostblock – billiger : die BRD-Jugendlichen aber fühlen sich betrogen. “ Denen wird alles nachgeschmissen…”

3 Millionen Aussiedler braucht die deutsche Wirtschaft für den Aufschwung und die Aufbesserung der Rentenkassen – so das Institiut der Deutschen Wirtschaft.

– Bevölkerungspolitisch ist dies ebenso erwünscht. Ohne Zuzug von „deutschem Blut“ stirbt das deutsche Volk angeblich aus. Die CDU braucht national-konservative Wähler also rein mit allen, die irgendwie „deutsch“ – „dem Blute nach“ sind. Die Lebensqualität der hier lebenden jungen Generation ist demgegenüber sekundär. Sie empfindet sich deshalb als die wahren Deutschen, und hat kein Verständnis für die Umsiedlungs- und Ansiedlungspläne der Koalition. Hier sind Differenzierungen im „Nationalbewußtsein“ zu finden, die es verbieten pauschal von Nationalismus zu sprechen.

– Schulisch sind die Leistungsanforderungen mit der Drohung künftiger Arbeitslosigkeit von Lehrpersonen und Eltern immer höher geschraubt worden. “Du mußt einen guten Schulabschluß haben, sonst kannst du gleich Penner werden…” Die drop outs sind es dann “selber schuld” und müssen mit ihren Versagensängsten und ihrem Selbsthaß alleine fertig werden.

Wo hätten sie lernen können, mit ihrem Scheitern anders umzugehen?

– Die häusliche Situation vieler junger Leute ist durch zerbrochene Ehen bei gleichzeitig hohem Anspruch an gelungene Beziehungen gekennzeichnet. Eigene Partnersuche ohne vernünftigen Schul- und Ausbildungsabschluß aber ist schwierig – man brauchte dazu Selbstbewußtsein, Erfahrungen von Erotik und Zärtlichkeit – aber woher ?

– Befriedigende Sexualität angesichts von AIDS-Angst – wer von uns Erwachsenen könnte das frustrationslos lernen und leben ?

– Die Wohnungspolitik der FDP hat es geschafft, daß die Aussicht auf Rendite der Hausbesitzer gestiegen ist, aber die Hoffnung auf eine erschwingliche, kleine Wohnung für viele junge Erwachsene eine Illusion bleibt.

Es ist zynisch, wenn die Reduzierung des Mietanstieges von 30 auf 20% von Kinkel als soziale Großtat verkündet wird, während die Stadt München nicht einmal mehr Polizeibeamte einstellen kann, weil diese die Mieten nicht mehr bezahlen können. Und die Mehrheit in diesem unseren Lande verdient kaum mehr als diese. In Frankfurt sind 10 % der Wohngeldempfänger gut verdienende Leute mit 4000.– DM netto, die sich 1800 – 2000 DM für die Miete in der Stadt nicht mehr leisten können. 40000 suchen eine Wohnung…

Die Aussicht vieler Jugendlicher bis hin zu den Studenten : Wohnen erst einmal zu Hause. Selbst Wohnraum für WGs ist knapp.

Wie schnell ist der Haß auf die verschoben, denen “Wohnungen” angeboten werden – und auch noch kostenlos …

Kein Verständnis zu erwarten

Wie ist da zu erwarten, daß ein junger Mensch Verständnis für die Verfolgung von Asylsuchenden oder die Armut von Polen oder Afrikanern aufbringt? Wie soll ein Opfer der Politik bei uns, die Opfer derselben Politik und Wirtschaftsweise in der Dritten Welt verstehen ?

Selbst Asylsuchende

Wer im eigenen Land von den eigenen Politikern und Wirtschaftslenkern so ausgestoßen wird, ist selber Asylsuchender geworden und kann nicht einmal mehr die Heimatlosigkeit der Ossis nachvollziehen. Die kapitalistische Art und Weise des Anschlusses hat das Faß zum Überlaufen gebracht : Wer so mit Menschen und der Wahrheit umgeht, der wird genauso zynisch mit den eigenen Wessis umgehen.

Zynismus

Der Zynismus der Atom-, Friedens-, Weltwirtschafts- und Ökologiepolitik schlägt im Haß der Opfer zurück – aber nicht auf die eigentlichen Täter : Wirtschaft, CDU/CSU/FDP-Regierung und andere gesellschaftliche Kräfte – sondern auf die, die noch unter ihnen stehen: “Asylanten”.

Gewollter Haß auf „Asylanten“

Sie sind die von den Tätern ( CDU/CSU ) selbst angebotenen Ersatzopfer. In ihrem Schlag-Schatten werden die eigenen Schäfchen ins Trockene gebracht:

-Milliarden für den Golfkrieg durch Steuererhöhungen,

– Steuererleichterungen für die Wohlhabenden,

– Wohnungsbauprogramme, die die Besitzenden überproportional begünstigen,

– staatlich geförderte Renditesteigerungen für die (Groß-)Unternehmen,

– Bundesbankgewinne zur Sanierung der maroden Finanzen,

– Ausplünderung der ehemaligen DDR – Grundstücke, Immobilien, Industriebesitz – ,

– Kredite ( = Kaptialgewinne ! )an die Dritten Welt und denOstblock,

– Rüstungsexporte …

Junge Generation sucht Asyl

Die, die da gegen Asylsuchende Steine werfen, sind selber Asylsuchende im eigenen Land, fühlen sich heimatlos. Deshalb klammern sie sich “stolz” an Deutschland, und/oder den FC Schalke, um wenigstens etwas “Selbstwertgefühl” und kollektive Sicherheit zu empfinden.

Angst vor produktivem Haß

“Denkzettel” wollen sie mit den Brandsätzen verteilen, “damit die endlich ‘mal wachwerden”: Aufmerksamkeit wünschen sie sich, Geborgenheit und Sicherheit.

Der destruktive Haß gegen Fremde ist ein Umweg, weil der “produktivere” Haß gegen die Täter nicht gewagt wird. Ohmachtserfahrungen aus den Zeiten der Friedenbewegung und der Ökologiebewegung ( Brockdorf/Wackersdorf), wo sofortige Erfolge ausblieben, lassen direktes Austragen der Konflikte als aussichtslos erschienen. Nicht “Null Bock”, sondern begründete Resignation prägt das Verhalten vieler.

Woher Hilfe ?

In der Erfolgsgesellschaft ist Scheitern aber zuallererst persönliches Versagen. Mit Scheitern – an sich selbst oder den Bedingungen – umzugehen, bleibt em Einzelnen überlassen. „Jeder muß selbst sehen wie er damit fertig wird“, sagen selbst viele Jugendliche.

So lebt der Haß nicht mehr in der Schule – nur noch in der Clique wird er ausgesprochen und ausgelebt. Da ist dann noch weniger Platz für das Bearbeiten der neuen Ängste in der ohnehin durch die Ängste vor dem Sich-Ablösen-Müssen geprägten Umbruchsphase ihres Lebens. Die Lehrergeneration – überaltert – die jüngsten um die vierzig Jahre alt – hat wenig Kontakte zu diesen Jugendlichen; der Ausbruch von Aggression macht den sanften Grünen soviel Angst, daß sie hilflos zum Nazimuster greifen. Der Wochenend-Untergrund bleibt als Ausweg. Die spontane Einzeltat auf Verabredung bleibt. Konstruktiver Haß ist versperrt. Solidarische Aktion erscheint aussichtslos. Konsumieren gibt wenigstens zeitweise ein „Erfolgsgefühl“.

Und die Jugendarbeit ?

Jugendarbeit ist zu teuer. Jugendzentren – wo gibt es sie noch… Spezielle Sozialarbeit für die Problemgruppen – kein Geld. Besondere Jugendberatung oder Therapieangebote Fehlanzeige. Klinische Seelsorgeausbildung im Sinne von Beratung speziell für Berufsschulpfarrer – wo gibt es Supervisoren, die das könnten ?

Beten – für wen ?

“Wir beten für die Opfer des Ausländerhasses in unserem Land” ( Handreichung des LKA) alleine reicht wohl nicht aus. Solches einseitiges Beten bedeutet nur die Verlängerung der moralischen Diskriminierung eines großen Teils der jungen Generation. Zur realen Deklassierung kommt noch eine religiös-moralische hinzu: Hoffnungslose gegen die nur noch Gott helfen kann – denn Gott steht ja auf der Seite der Opfer. Was aber, wenn die Täter selber Opfer sind ? Das – verständliche – moralische Entsetzen über die brutale Gewalt und den Haß und das wohlmeindene Einsetzen für die untersten Opfer kann für eine Volkskirche nicht ausreichen, weil wichtige Ursachen für Haß ausgeblendet werden und andere Opfer übersehen werden..

Elementare Rechte einlösen

Fazit : Statt Moralappellen und Empörung und einseitigem Gebet ist die Einlösung elementarer Rechte der jungen Generation einzufordern :

Bildung, Ausbildung, Wohnen, sinnvolle Arbeitsplätze, Umwelt, Eine-Welt-Politik, Abrüstung … – doch da wird gegenwärtig gespart.

Kirche als Lobby ?

Wirksame soziale oder gar sozialistische Stimmen gibt es in diesem Lande kaum noch – so ist die Kirche die einzige, die gelegentlich den Finger in die Wunde legen und an die Versäumnisse erinnern könnte. Aber nicht nur als Nebensatz, sondern als deutliche Mahnung.

Denn : Nur Mahnwachen ohne Forderungen für die junge Generation könnten zur Stärkung der 2/3 Gesellschaft führen, weil sie zur realen Deklassierung von jungen Leuten auch noch deren moralische hinzufügen…

Dietrich Horstmann

modernisierungsverlierer.pdf [175 KB]