DISKUSSION zu „Kategorialer Berufsbezug“
Andreas Obermann | Kategorialer Berufsbezug |
Dietrich Horstmann | Entgegnung zu „Kategorialer Berufsbezug“ |
Wolfgang Klafki | Klafki Originaltexte zu Kategorialer Bildung |
Kategorialer Berufsbezug
Der kategoriale Berufsbezug des BRU
ÜBERLEGUNGEN ZU EINEM »ALTEN« THEMA AUS BERUFSPÄDAGOGISCHER SICHT
BRU-Magazin Heft 55, 2011
Von Andreas Obermann
Während in der allgemeinen Pädagogik Kompetenzen domanenspezifisch d. h. konstitutiv bezogen auf bestimmte Fach-und Wissensgebiete -bestimmt werden, kommt die Domänenexkluzivität in der Berufspädagogik so nicht vor, da diese Kompetenzen aus der Vielfalt der beruflichen Handlungsfelder entwickelt und formuliert sind. 1 Letztlich war und ist in der Berufspädagogik der Beruf selbst die bestimmende Größe aller Theorieüberlegungen zu Kompetenzen bzw. zu Vorschlagen einer “Konstruktion von Domänen“ 2:
So wurde (1.) der Beruf selbst als Domäne herangezogen mit allen berufsrelevanten Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, was zu einem sehr komplexen Kompetenzbegriff führt(e). Weiterhin wurden (2.) einzelne Berufs-oder HandIungsfelder unterschiedlicher Berufe wie zum Beispiel spezifisch handwerkliche Fertigkeiten oder generell die Fertigkeit des Kommunizierens an sich – zusammengefasst und herangezogen. Die (3.) Option zur Konstruktion berufspädagogischer Domänen ist die jeweilige .. Klassifizierung von Tätigkeiten in einem beruflichen Handlungskontext« 3.
Für den BRU und seinen Beitrag zum Erwerb beruflicher Kompetenzen gilt es zu eruieren, in welcher der genannten Dimensionen der BRU am besten zum Erwerb einer beruflichen Handlungsfähigkeit beitragen kann – nämlich zu Fähigkeiten, die den Auszubildenden helfen, ..sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten.« 4
1 ROLLE DES BRU
Die Frage nach der Rolle des BRU in der berufspädagogischen Domänendiskussion knüpft an die alte Frage des Berufsbezugs des BRU an: Der klassische Weg sucht (1.) im jeweiligen Beruf Bezüge zur Religion und operationalisiert diese didaktisch für den Unterricht. 5 Dieser Weg kommt sinnvoll nur in wenigen Berufen zum Tragen. Einen größeren Handlungshorizont gewinnt der BRU (2.) durch den Bezug auf die einzelnen Felder beruflicher Tätigkeit bzw. Ausbildungsbereiche sowie den dort erforderlichen bzw. zu vermittelnden Fähigkeiten.
Bei diesen beiden Perspektiven beruflicher Relevanz hat der BRU (meist nur) eine unterstützende Funktion. 6 So bleibt allein der Beruf selbst aIs Domänenbezug für den BRU übrig: Der bis in die Gegenwart andauernde Wandel des Anforderungsprofils von beruflichen Tätigkeiten und die gleichzeitig wachsenden Anspruche an die selbstorganisierte Verwaltung der eigenen Arbeitskraft als „Arbeitskraftunternehmer“ 7 rückt die Person des Auszubildenden (bzw. des Arbeitnehmers) in den Mittelpunkt auch berufspädagogischer Überlegungen: 8
Sofern die Herausbildung einer «beruflichen Handlungsfähigkeit« 9 in der Folge der früheren Rede von Schüsselqualifikationen immer mehr und deutlicher personale Fähigkeiten und Fertigkeiten konstitutiv auch für den beruflichen Bereich und Flor die beruflichen Kompetenzen in den Mittelpunkt rückte, ist auch der BRU gefragt, eine Erweiterung von Fähigkeiten und Fertigkeiten im Bereich personaler Kompetenzen zu ermöglichen. Angesichts der gegenwärtigen Forderung eines lebenslangen Lernens steht somit auch die berufsorientierte Religionspädagogik vor der Herausforderung, schon bei Auszubildenden die Bereitschaft und Motivation für lebenslange Lernprozesse (im Beruf und darüber hinaus) vorbereitend zu wecken, indem sie zum Beispiel Sachinformationen zum (prognostizierten) zukünftigen Leben und Arbeiten kommuniziert und vorsorgend den Erwerb der entsprechenden Fähigkeiten zur Bewältigung beruflicher Umbruche oder Neuorientierungen ermöglicht:
Die Bildung und Persönlichkeitsförderung des Menschen inmitten seiner existentiellen Lebensbezüge, seine Stärkung in seiner Berufung oder auch die Bewältigung von sich nicht selbst erschließenden kontingenten (Iebensbiographischen) Ereignissen war und ist eine Domäne der religiösen Bildung. Hier kommt religiöse Bildung ihren genuinen Aufgaben nach und ihre (berufliche) Relevanz wird deutlich erfahrbar und sichtbar.
Diese Funktion religiöser Bildung wird in Zukunft eine immer größer werdende Bedeutung bekommen gegenüber zum Beispiel der klassischen Kommunikation religiöser Inhalte oder Wertemuster in beruflichen Kontexten.
2 KLASSIFIZIERUNG DES BERUFSBEZUGS DES BRU
Im Blick auf eine nicht nur sprachlich präzisere Kennzeichnung der beruflichen Relevanz des BRU mochte ich an dieser Stelle die Unterscheidung von einem kategorialen Berufsbezug und einem materialen Berufsbezug des BRU vorschlagen und begründen: Als material sollten meines Erachtens demnach alle jene Berufsbezuge bezeichnet werden, in denen eine berufliche Tätigkeit (Befähigung) unmittelbare Bezuge zur Religion aufweist. 10 In dieser Perspektive hat der BRU eine kompensatorische Funktion, indem er Lerninhalte additiv ergänzt und vertieft
Demgegenüber gilt es aus meiner Sicht beim fundamental-kategorialen Berufsbezug des BRU alle jene beruflichen Aspekte zu identifizieren, zu klassifizieren und didaktisch zu operationalisieren, die einen Einfluss haben auf die persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Sozialisation der Auszubildenden, auf ihre berufsbiographischen Aussichten (Chancen auf ihre persönliche Wahrnehmung von Ausbildung und Berufswelt, auf ihre vom Beruf abhängige persönliche Lebensplanung oder auf ihre damit verbundenen existentiellen Fragen nach dem Leben angesichts des lebensbiographisch gewichtigen Übergangs von der Schule ins Berufsleben. 11 Der fundamental-kategoriaIe Berufsbezug nimmt – in Anlehnung an Klafki – das Subjekt der Auszubildenden konstitutiv in den Blick als Maß (Kriterium) für die beruflichen Bezuge des BRU. Kategorial ist dieser Berufsbezug insofern, als dass die soeben genannten Aspekte die Kategorien (Grundformen) darstellen, in denen der Beruf in seinen Bezügen zur Religion wahrgenommen und erfahren wird bzw. werden kann.
Die oben genannten Aspekte klassifizieren in je eigener Weise die elementaren Bezugspunkte eines Auszubildenden zur Religion. Während nicht aile Ausbildungsberufe bzw. Berufsbildungsgange materiale Bezuge zu religiösen Themen aufweisen bzw. dies in je unterschiedlicher Deutlichkeit und Intensität tun, sind für alle Berufe fundamental-kategoriale Berufsbezüge zu identifizieren, zu beschreiben, zu analysieren, didaktisch zuelementarisieren, kommunikativ zu operationalisieren und methodisch zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund ist der BRU nicht mehr allein in kompensatorischer Wirkung (Funktion) wahrnehmbar, sondern trägt umfassend durch eigene Bildungsinhalte und -aspekte zur (zu erwerbenden) beruflichen Handlungsfähigkeit bei (inklusive personenbezogener existentieller Befähigungen). Sucht der BRU den kategorialen Berufsbezug als Anschlusshorizont zur Berufspädagogik und bemüht sich den kategorialen Berufsbezügen religionspädagogisch und didaktisch gerecht zu werden, kommt ihm eine komplementäre Funktion und Wirkung für die Berufsbildung zu.
3 BEDEUTUNG DES BRU IN DER BERUFSPäDAGOGIK
Die Unterscheidung von materialem Berufsbezug und kategorialem Berufsbezug verhilft dem BRU – besonders durch die Identifizierung kategorialer Berufsbezuge – zu einem nachvollziehbaren, einem kommunizierbaren und vor allem zueinem didaktisch-begründbaren Ort innerhalb der beruflichen Bildung und Berufspädagogik.
Der BRU ist nicht als Appendix oder bloße Kür zu verstehen, sondern er ist konstitutiver Teil der Berufsausbildung, indem er seine spezifische Lebens-und Weltsicht ins Gespräch mit der Berufspädagogik einbringt: Der BRU bereichert die berufliche Handlungsfähigkeit um eigene berufsrelevante Fähigkeiten und Fertigkeiten – zum Beispiel durch die Deutungskompetenz angemessener anthropologischer Formen und Modi beruflicher Existenz, eine interreligiöse Kommunikationskompetenz oder die Fähigkeit der Wahrnehmung und Konstruktion religionsethischer Aspekte des Berufslebens.
Darüber hinaus trägt der BRU zu umfassenden (allgemeinen) Berufsbildungsprozessen bei, indem er spezifisch-religiöse Inhaltsaspekte in die beruflichen Lern-und Handlungsfelder sowie in die berufspädagogische Themenvielfalt einbringt – zum Beispiel eine biblisch-theologische Fundierung von Sekundärtugenden oder schöpfungstheologische Aspekte bei Themen der Nachhaltigkeit. Die Stimme des BRU findet so durch die Kommunikation seines kategorialen wie auch materialen Berufsbezugs das ihr angemessenes Gehör innerhalb der Berufspädagogik, und der BRU selbst wird zum integralen Bestandteil der beruflichen Bildung
FUSSNOTEN
1 So Kathrin Hensge/Barbara Lorig/Daniel Schreiber: Kompetenzverständnis und -modelIe in der beruflichen Bildung, in: Monika Bethscheider/Gabriela Hohns/Gesa Münchhausen (Hg.): Kompetenzorientierung in der beruflichen Bildung (Berichte zur beruflichen Bildung, Bonn 2011, S. 133(f.).
2 Vgl. zum folgenden insgesamt Hensge u.a.: a.a.D., S. 140t.
3 Hensge u.a.: a.a.D., S. 141.
4 Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplanen der Kultusministerkonferenz für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule […], S. 10.
Seine schöpfungsethische Erörterung im Blick auf den Umgang mit dem Rohstoff Wasser für das Handwerk der Gas-und Wasserinstallation wäre hier ein materialer Berufsbezug (vgl. hierzu auch exemplarisch: Berufsbezug im Religionsunterricht. Werkheft für das Berutskolleg, Düsseldorf 22003 (11999), S. 22-44 sowie S. 45-75).
6 Vgl. hierzu bei Andreas Schelten: Einführung in die Berufspädagogik, S. 157.
7 Der Arbeitskraftunternehmer vermarktet seine Arbeitskraft als Ware: Dahinter steht der Wandel der Lohnarbeit hin IU einer stärkeren „Selbst-Kontrolle der Arbeitenden« und dem „Zwang zur forcierten Ökonomisierung [von] Arbeitsfähigkeiten«. was zu einer »Vertrieblichung der alltäglichen Lebensführung, führt [zum Begriff des Arbeitskraftanbieters vgl. auch Günter VoB / Hans J. Pongratz: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Arbeitskraft? in: Ulrich Bröckling/Eva Horn (Hg.): Anthropologie der Arbeit (Literatur und Anthropologie 15), Tübingen 2005, S. 127-156 (hier: S. 1281.).
8 Vgl. hierzu auch schon Wolfgang Dietrich: Begründung und Würdigung des Berufsschulreligionsunterrichts und des Beruflichen in ihm -12 Ansätze, in: Berufsbezug im Religionsunterricht der Berufsbildenden Schule. Theoretische Grundlegung und Praxisbeispiele (Quellen und Forschungen zum evangelischen sozialen Handeln 16), hg. v. Werner Uiwen/Hans-Jurgen Pabst/Andrea A. PabstDietrich, Hannover 2003, S 33f.
9 So grundlegend § 1 (2) des Berufsbildungsgesetzes (BBiG).
10 Die in dem Werkheft Berufsbezug [5. Anm. 40] von Dietrich Horstmann vorgeschlagene Unterscheidung eines .weiteren« und engeren. Berufsbezugs (Berutsbezug oder umfassende Handlungskompetenz? Der Beitrag des Religionsunterrichtes in den Bildungsgängen der Teilzeitberufsschule des Berutskollegs 13) weist in die Richtung der hier vorgeschlagenen Unterscheidung, bleibt in der Konkretisierung im Werkheft jedoch dem hier so bezeichneten materialen Berufsbezug verhaftet (die Hannoveraner Abhandlung zum Berufsbezug des BRU [5. Anm. 43] bleibt auch innerhalb eines materialen Berufsbezugs; vgl. auch: Kein Raum für den berufsübergreifenden Bereich im Lernteldkonzept? Lothar von der Bey/ Gera Buhmann/Michaela Grote/Klaus Haardt/Gisela Oligmülier/Fritz Wittlinger, in: Die berufsbildende Schule 51 [1999), S. 305-311.
11 Diese Dimension des Berufsbezugs des BRU betont auch Dietrich: a.a.a, bes. S. 37-40.
BRUMAGAZIN Heft 55 2011 S. 149
Entgegnung zu kategoialer Berufsbezug
Umfassende Handlungkompetenz, Bildungsdidaktik und der BRU
Zu Andreas Obermann : Der kategoriale Berufsbezug. BRU 55,2011, S. 48f.
Klafkis Kategoriale Bildungsdidaktik von 1963 („alter Klafki“) als Bezugs- und Begründungsrahmen für die Klassifizierung des Berufsbezugs des BRU zu nehmen, ist ein interessanter Ansatz. Obermann nimmt dafür ausdrücklich meine Differenzierung von „engerem“ (=„Ausbildungsplatzbezug“) und „weiterem“ Bezug zum Beruflichen in meinem Aufsatz zu „Berufsbezug oder umfassende Handlungskompetenz“ [1] auf. Sie soll durch die Kategorien „formal“, „material“ auf der einen Seite und „fundamental-kategorial“ präzisiert werden. Der erstere soll eine „kompensatorische“, „additive“, der andere soll eine „komplementäre“ Funktion des BRU beinhalten. Für den Praktiker bedeutet das zunächst einmal nur eine begriffliche Umetikettierung. Auch in der Sache meint der „fundamental-kategoriale“ Berufsbezug des RU dasselbe wie die von mir geforderte „umfassende Handlungskompetenz“.
In der Zielsetzung finde ich mich also in Übereinstimmung mit Obermann. Praktisch aber leistet die Übernahme Klafkischer Begriffe dafür m.E. zunächst nichts viel Weiterführendes.
Wie ist es aber wissenschaftlich gesehen? Wie ist das Verhältnis von Kompetenzorientierung und klassischer Bildungsdidaktik? Genügen die weitreichenden Kompetenzcluster – fachlich – methodisch – sozial – human… usw. nicht aus , um auch die Inhalte und Ziele des BRU mit aufzunehmen? Ist der Anspruch der Kompetenzdidaktik, die Spaltung zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung besser als frühere didaktische Konzepte aufzuheben, nicht befriedigend genug eingelöst, sodass man an alte Bildungsdidaktiken anknüpfen muss? Wenn ja, wie ?
Dazu soll der Bezug zu Klafki [2] näher untersucht werden. Was wollte Klafki mit seiner kategorialen Bildung? Es ging ihm in erster Linie um eine Theorie zur Auswahl, genauer um die Reduktion von Inhalten.
Die Kategorien elementar, exemplarisch und fundamental auf das „Materiale“ anzuwenden, um die Stofffülle – das meint bei ihm „material“ – und gelegentlich explizit „das Berufliche“ – zu reduzieren. Über seine Schritte der Bedeutung der Inhalte für die Lernenden in einer „wechselseitigen Verschränkung“ von Erfahrung und Lernen zu „Bildung“ zu gelangen ( vom Bildungsinhalt zum Bildungsgehalt ) war sein Konzept. „Bildung im Beruf“ war das Ziel der neuhumanistischen Bildungsdidaktiker (von Spranger bis zu Blankertz). Die Aufspaltung in nur berufliche und allgemeinbildende Inhalte sollte gerade im Beruflichen aufgehoben werden, indem man im Berufsalltag nach dem Elementaren, Fundamentalen und Exemplarischen sucht. Was Obermann nebeneinander stellt, und damit der alten Trennung von beruflicher und allgemeiner Bildung Vorschub leistet, gehört bei Klafki in einem 4-stufigen Bildungsgang zusammen. [3]
So eignen sich die Begriffe von Klafki – „material“ und „kategorial“ nicht zur wissenschaftlich-didaktischen Begründung des BRU im Kanon der Fächer. Auch kaum „in Anlehnung“ ( so Obermann ). Die Kategorien stammen ja aus einer Theorie zur Auswahl – vorhandener! – Bildungsinhalte für den Unterricht und nicht für deren Klassifizierung oder gar für die Legitimierung eines Faches. Sie scheinen sich eher für die Curriculumentwicklung – auch und gerade(!) der betrieblichen – Lernprozesse zur Reduktion von Komplexität zu eignen. Dort werden sie – wie ein Blick in die Literatur bei BiBB zeigt – gelegentlich noch und nicht nur im sozialen Bereich angewendet. Waldemar Bauer zeigt, wie unterschiedlich – auch mit Klafki – solche Reduktion bereits geschieht:“ [4]
Angesichts der Tatsache, dass sich in Deutschland wie auch auf EU-Ebene aber der Kompetenzbergriff als Leitbegriff für die berufliche Bildung durchgesetzt hat, wäre es m.E. sinnvoller, sich an dieser Diskussion zu beteiligen und die dort zu findenden Ansätze einer „kritischen“ Kompetenzdidaktik einschließlich der Debatte über Metakompetenz zur Entwicklung von eigenen Begründungkonzepten und Kategorien für den BRU zu kommen.[5]
Dass dabei etwa der spätere Klafki mit seiner „kritisch-konstruktiven“ Didaktik und ihren Kompetenzen eher dabei mit einzubeziehen wäre als der „frühe“, zeigt sich auch in dieser Diskussion um die Kompetenzorientierung. Schließlich war Klafki einer der ersten, die den Kompetenzbegriff in die Didaktik eingeführt haben.
Noch weiterführender vor allem für Legitinationsfragen wäre m.E. Klafkis Ansatz bei den „Schlüsselproblemen“ (1995) – darin insbesondere für die berufliche Bildung: „Nachhaltigkeit“ u.a. [6]
Insofern ist der Beitrag von Obermann ein Anstoß, auf der Spur „Klafki“ weiter zu forschen. Das, was ich mit „umfassender Handlungskompetenz“ (mit Bader u.a.) meine, und das sich an Konzepte von Piaget[7] und Aebli [8] anschließt, wäre also mit vorhandenen Ansätzen in der Kompetenzforschung zu verbinden und zu einem eigenen Kompetenzkonzept des BRU zu entwickeln. Veröffentlichungen dazu auch für den BRU finden sich ja schon. Eine Literaturrecherche bei BiBB unter dem Stichwort Religionsunterricht zeigt das. [9] Auch das Heft 46 des BRU-Magazins[10] enthält hierfür Anregendes und die Institute für den BRU[11] arbeiten daran.
Eins aber ist allen Überlegungen zur Legitimierung und Ausdifferenzierung des BRU im Kanon der Fächer gemeinsam: Der BRU muss zunächst von Wissenschaft und den Interessenverbänden einschließlich der Kirchen selbst als notwendig postuliert werden. Der BRU kann didaktisch noch so gut begründet werden, er muss vor allem in der beruflichen Bildung den Interessenvertretern als in sich sinnvoll nahegebracht und auch mit politischen Mitteln durchgesetzt werden. Ohne eine gründliche Interessenanalyse und ohne Bündnisse zur Durchsetzung dieser eigenen Interessen nutzen auch die besten Begründungen nichts. Aber diese sollten dann an vertraute Denkmuster – sprich die weltweit herrschende Kompetenzdidaktik – anknüpfen. Dabei kann und soll man auch versuchen, in diese Kompetenzdidaktik Elemente heute noch vertretbarer neuhumanistischer Bildungsideale ( „Primat der Inhalte vor den Zielen“ – „Bildung im Medium des Berufes“ ) einzubringen. Anknüpfungspunkte dafür gibt es genügend. Bei aller Kritik am Kompetenzkonzept: Sonderwege über eine sog. kategoriale Bildung helfen nicht weiter. Dies gilt für den Berufsbezug des Faches BRU wie für die Integration in die anderen Fächer im Beruflichen Schulwesen. Bei den späteren Klafkischen Ansätzen ist dabei vielleicht mehr zu holen als bei dem ganz frühen.
Aber der grunsätzliche Ansatz der Bildungsdidaktik ist immer noch interessant, nämlich im Beruflichen selbst „umfassende Handlungskompetenz“ und das heißt für mich „Bildung“ zu gewinnen. Fordert doch z.B. Th.Litt , einer ihrer Nestoren : „Es gilt, aIle die Fäden sichtbar zu machen, die die scheinbar so eng umschränkte, so streng spezialisierte Sonderwelt des Berufs ( und man konnte hier ergänzen: und des individuellen Lebens, d. Verf. Klafki ) mit dem Lebensgang der ganzen Kulturwelt verknüpfen.“ [12]
[1] www.dihorst.de/publikationen/index.php
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Klafki – speziell : Meinert Meyer/Hilbert Meyer, Wolfgang Klafki. Didaktik für das 21. Jahrhundert? Weinheim, Basel: Beltz 2007
[3] Ausführlicher dazu : Klafki 1963 – hier von mir in Auswahl zusammengestellt: http://dihorst.de/didaktik/index.php
[4] „Ein Vergleich internationaler Konzepte zur Analyse von Arbeit und Kompetenzen im Kontext der Berufs- und Curriculumentwicklung“ – http://www.kibb.de/cps/rde/xbcr/SID-433EDD04-15976D21/kibb/AGBFN_Forum08_WS4_B31_Bauer.pdf
[5] Zur allgemeinen Diskussion über Kompetenz hier mehr www.bibb.de/dokumente/pdf/a1bud_auswahlbibliographie-kompetenz-in-der-beruflichen-bildung.pdf
[6] Klafki, Wolfgang: „Schlüsselprobleme“ als thematische Dimension einer zukunftsbezogenen „Allgemeinbildung“ – Zwölf Thesen. Sowie: „Schlüsselprobleme“ und fachbezogener Unterricht. In: Wolfgang Münzinger, Wolfgang Klafki (Hrsg.): Schlüsselprobleme im Unterricht. Die Deutsche Schule, 3. Beiheft. Weinheim und München: Juventa 1995, S. 9-14 bzw. S. 32-46
[7] z.B. Piaget, J.: Einführung in die genetische Erkenntnistheorie, Frankfurt/M. 1973.
[8] Aebli, H.: Zwölf Grundformen des Lehrens – eine allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage. Medien und Inhalte didaktischer Kommunikation – der Lernzyklus. 12. Auflage. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2003. – Aebli, H: Denken: das Ordnen des Tuns. Band 2, Denkprozesse. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1981.
[9] www.ldbb.bibb.de – Stichwort „Religionsunterricht“
[10] http://bru-magazin.de/bru/2007_Heft46.php
[11] http://www.bru-portal.de/Hochschule.php
[12] Zitiert nach Klafki Wolfgang Klafki, Das pädagogische Problem des Elementaren und die Theorie der kategorialen Bildung . 2. Auflage 1963, S. 411 – aus : Th.Litt : Berufsbildung und Allgemeinbildung, Wiesbaden 1947, S. 190 ff
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Klafki
Wolfgang Klafki
Das pädagogische Problem des Elementaren und die Theorie der kategorialen Bildung . 2. Auflage 1963
S. 409-411 Auszüge
„b) Berufliche Bildung
Mit besonderer Intensität ist das Problem des Elementaren, Fundamentalen, Exemplarischen seit etwa einem Jahrzehnt im Bereich der Berufspädagogik diskutiert worden. Auch hier die „Beschränkung auf das Wesentliche, die eindringende Begegnung mit bedeutungsvollem Exemplarischen“ Anm.443 als die vordringlichste Aufgabe. „Es hat sich gezeigt, daß die Berufserziehung … in den Berufsschulen und Lehrwerkstätten allzu sehr spezialisiert werden darf, sondern mehr den einer relativ-allgemeinen elementaren Berufsausbildung tragen sollte …“ Anm.444 Die hier erhobene Forderung wird in der Berufspädagogik gewöhnlich mit dem Begriff „Grundausbildung“ bezeichnet. Anm. 445
Sie umfaßt vier Aufgabenbereiche: Es geht einmal darum, hinter die unendliche Fülle der selbst innerhalb jedes Berufes spezialisierten Fertigkeiten und Kenntnisse zurückzugehen auf die innerhalb der großen Berufsgruppen (Metall, -Holz, -Textil-, kaufmännische Berufe usw.) geltenden Grundtätigkeiten und Grundeinsichten oder sogar noch weiter auf eine allgemeine Berufsgrundbildung. Von hier aus wird dann ein gestuftes Fortschreiten zu allmählicher Spezialisierung möglich. „…
„Als zweite Aufgabe ist gerade in der modernen Arbeitswelt die Erziehung zu elementaren sittlich-sozialen Berufstugenden in den Blick gerückt, um deren Ausbildung schon Kerschensteiner – wenn auch nur im Aspekt handwerklicher Arbeit – bemüht war; die schwierige Aufgabe ist hier, fruchtbare Situationen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, einen Stufengang von Aufgaben wachsender Verantwortung, Grundmöglichkeiten innerbetrieblicher Führung und Hilfe erfahren und in der Besinnung durchdringen zu lassen. Anm. 452
Hier schließt sich ein dritter Aufgabenkreis an, dessen Beachtung die herkömmliche Scheidung von Berufs-und Allgemeinbildung vom Aspekt der ersteren aus durchbricht, den angemessen zur Geltung zu bringen aber tiefe organisatorische, vor allem zeitliche Änderungen der herkömmlichen Berufsbildung in Berufsschulen, Fachschulen und Betrieben erfordern würde. Fritz Blättner hat auf diese Aufgabe, die fiir die Ausbildung der sog. ungelernten Arbeiter von ganz besonderer Wichtigkeit ist, schon früher mit der Forderung nach Auswahl von „Modellfallen der Welt-und Lebenskunde“ hingewiesen und sie in seiner jüngeren Pädagogik der Berufsschule“ (1958) noch weiter differenziert: als „humanistische, musischgesellige Aufgabe“, bei der es um Erziehung zu „Urteilsfähigkeit und Empfänglichkeit“ im Hinblick auf das gesellige Gespräch und auf die Möglichkeiten sinnvoller Erfüllung der Freizeit geht, und als religiöse Aufgabe, die er als Erweckung von „Gewissen und Glauben“ versteht. Anm.453
Von allen genannten Aufgabenkreisen aus eröffnen sich schließlich Zugänge zu einem vierten Problemfeld: Vom Berufs-und Arbeitsleben des jungen Menschen und seiner dadurch bestimmten Lebensperspektive kann der „Einstieg“ in den Zusammenhang der bewegenden Kräfte der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wirklichkeit gelingen, ohne deren Kenntnis auch die besondere menschliche und berufliche Situation des einzelnen nicht verstanden werden kann. Das Grundverhältnis von Besonderem und Allgemeinem, das für das Problem des Elementaren konstitutiv ist, tritt hier in dem Verhältnis von „Beruf“ und individueller Lebenserfahrung einerseits und Gesamtwirklichkeit“ andererseits ein weiteres Mal prägnant Th. Litt fordert: „Es gilt, aIle die Fäden sichtbar zu machen, die die scheinbar so eng umschränkte, so streng spezialisierte Sonderwelt des Berufs (und man konnte hier ergänzen: und des individuellen Lebens, d. Verf.) mit dem Lebensgang der ganzen Kulturwelt verknüpfen.“ Anm 454
Die politische Seite der vom Zentrum des Berufes aus zu gewinnenden elementaren Allgemeinbildung haben E. Weniger, O. Monsheimer u.a. dargestellt. Anm 455 „