00-15 Lernfeld – Auswertung des Modellversuch 4.doc
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Auswertung des Modellversuchs »RU als Bestandteil eines Lernfeldes«
an der Friedrich Weinbrenner Gewerbeschule Freiburg, Abt. Vermessungstechnik. Von Theo Tröndle
(vgl. »Die Lernfeldkonzeption und der Religionsunterricht; Modell 4«, in: MITTEILUNGEN Nr.2/1999)
Drei Monate sind inzwischen vergangen seit jenem Unterrichtsblock mit dem 3. Lehrjahr der Vermessungstechniker der insgesamt sechs Wochen dauerte. Wie schrieb ich doch gleich noch über den »Stand der Dinge zum Ende der zweiten Blockwoche«, dem damaligen Redaktionsschluss für die MITTEILUNGEN im Oktober 1999: »die Schüler arbeiten eifrig an ihren Lernaufträgen (auch an den RU Fragestellungen). Fast habe ich den Eindruck als Lehrer zu stören, einige nutzen meine Anwesenheit um die unterschiedlichsten Fragen abzuklären. In den Gruppen wird immer wieder auch intensiv über Aspekte des Reliauftrags diskutiert, zum Teil sehr kontrovers. Ich selbst bin sehr gespannt, wie es weitergeht, …«
Und so war es:
Die Planung
Blockwoche 1 dient der Einführung in die Thematik und um einen Überblick über fachliche Grundlagen und Zusammenhänge zu geben. Blockwoche 2 und 3 sind für die Gruppenarbeiten vorgesehen, d.h. die Schüler arbeiten selbstständig in ihrem Team an den Aufträgen, die Arbeits- und Zeitplanung bzw. -aufteilung obliegt den Schülern. Der »Stundenplan« gilt zwar weiterhin, aber nur für die Lehrer: sie begleiten und unterstützen in dieser Phase und sind (mindestens) während ihrer Unterrichtszeiten anwesend. Der Abgabetermin für alle Gruppen ist fix. Erwartet wird eine ausführliche schriftliche Ausarbeitung zu den einzelnen Fragestellungen, eine Präsentation der Ergebnisse vor der Klasse und den anwesenden Lehrern, möglichst durch PowerPoint unterstützt, sowie die Erstellung von Materialien für die Mitschüler, da diese auf die Ergebnisse der anderen angewiesen sind um die ganze Stoffbreite zu erschließen. Die Blockwochen 3 bis 6 sind für die Präsentationen und für die Erarbeitung dessen, was andere Gruppen erschlossen haben, eingeplant. Jede Gruppe präsentiert an einem Vormittag in ca. 2 Schulstunden ihre gesamten Ergebnisse und bekommt sowohl jeweils eine Fachnote für den Inhalt und eine für die Präsentation selbst, diese zählt als Deutschnote. Hier zur Erinnerung noch einmal die Fragestellungen, welche aus der „Religions- und Ethikecke“ eingebracht wurden:
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„Der Konflikt im Kosovo hat auch politische Hintergründe. Erklären Sie den Mitarbeitern Ihres Unternehmens die religiösen Orientierungen der Konfliktparteien.“
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„Da einer Ihrer Mitarbeiter Gewissenskonflikte wegen des Bundeswehrauftrags geltend macht, informieren Sie sich über Entstehung, Funktionsweise und die Bedeutung von Gewissen bei entsprechenden Fachleuten.“
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„Neben der Bundeswehr sind auch kirchliche Hilfsorganisationen im Kosovo vor Ort: Stellen Sie die Arbeitsprinzipien einer solchen Organisation vor.“
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„Neben technischen gibt es auch zahlreiche humanitäre Hilfen: Stellen Sie eine kirchliche Organisation vor, die sich im Kosovo engagiert.“
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„Stellen Sie in diesem Zusammenhang (es ging um die Beschreibung der wirtschaftlichen Zielsetzung des Unternehmens) dar, was unter einer ‚Unternehmensethik‘ verstanden werden kann.“
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„Ebenso beschäftigt sich das junge Unternehmen mit der Erarbeitung von Leitlinien für den alltäglichen Umgang miteinander. Informieren Sie diese Arbeitsgruppe, inwiefern die Prinzipien der Katholischen Soziallehre hierbei hilfreich sein könnten.“
Der Verlauf
Ich möchte an dieser Stelle nicht den Gesamtverlauf, sondern einige markante Beobachtungen von meinen Schülern und mir skizzieren:
Das war gut:
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Die Schüler waren sehr aktiv und trugen die Verantwortung für ihr eigenes Lernen; dies war ein auffallender Gegensatz im Vergleich zu anderen Berufsschulklassen die klassisch unterrichtet werden
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Die Stärken dieses Modells liegen darin, dass die Schüler an einem ganz konkreten Fall, der ihrem Berufsalltag entspricht, arbeiten und die religiösen Fragestellungen mit diesem verknüpft erleben. Diese Tatsache halte ich für außerordentlich bedeutsam.
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Gut angekommen sind die Aufgabenstellungen, bei denen auch vor Ort recherchiert werden konnte, also z.B. den Deutschen Caritas Verband besuchen. Aber auch die Gewissensproblematik wurde als sehr interessant empfunden.
Das war schwierig:
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Die Schüler kamen mit den recherchierten Materialien teilweise nicht zurecht, weil sie in einer für Schüler schwierigen bzw. unverständlichen Fachsprache verfasst waren.
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Die Umsetzung in eine PowerPoint-Präsentation stand sehr im Vordergrund und lenkte sehr von den Inhalten ab.
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Vielen ist es schwergefallen, die Arbeitsergebnisse vorzutragen, die rel. Fragestellungen wurden als sehr komplex erlebt.
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Das Präsentationskonzept sah vor, dass die einzelnen Gruppen je an einem Vormittag ihr Arbeitsergebnis als Ganzes präsentieren und nicht zerstückelt in Teilaufgaben der Fachbereiche. Hintergrund dieser Entscheidung war, dass wir die Ganzheitlichkeit stärken wollten. Dies hatte jedoch zur Folge, dass ich in jeder der beiden Klassen bei 6 Präsentationen hätte – zumindest teilweise – anwesend sein müssen. Ein Ding der Unmöglichkeit!
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Es blieb kaum Zeit für Diskussionen, da der Religionsteil in alles andere eingebunden war und meist berufsbezogene Fragestellungen im Vordergrund standen.
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Die Arbeitsgruppen hatten enorme Schwierigkeiten mit einer ihrer Grunddisziplinen: mit der Mathematik. Die Schüler fühlten sich überfordert und alleingelassen. Die Folge war, dass die Gesamtkonzeption massiv in die Kritik geriet und die Leistungsbereitschaft für die sog. »unwichtigen Fächer« rapide absank. Panik, die anstehende Abschlussprüfung nicht bestehen zu können machte sich breit.
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Die Schüler hatten z.T. den Eindruck, dass RU sehr zeitaufwendig war und so relativ wenig Zeit für die anderen (»wichtigen«) Fächer übrig blieb.
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Vermisst wurde, dass der RU nun gar keinen »Ausgleich« mehr biete zum herkömmlichen Unterrichtsalltag.
Mein Resümee:
Entgegen meinen Erwartungen stieß dieses Modell bei den Schülern auf wenig Gegenliebe. Zu sehr standen sie offensichtlich insgesamt unter Zeit- und Leistungsdruck. Der Religionsunterricht in dieser Phase war funktional und bewegte sich überwiegend im rationalen, kognitiven und technischen. Nicht dass ich denke, dass all dies im Religionsunterricht der Berufsschule fehl am Platze sei, aber ich höre hinter den vielen Schülerklagen deutlich (neben dem verständlichen Schülerinteresse, mit möglichst wenig Aufwand durch den Schulalltag zu kommen), dass der RU, so wie er jetzt war, seine Eigentlichkeit verloren habe. Damit war gemeint, Zeit zu haben, zu verweilen, zweckfrei zu sein, abzuschalten vom Schulalltag (nicht in Form von Schulschlaf, sondern im positiven Sinne) sich und die anderen einmal »anders« zu erleben usw. Und diese Elemente sind m.E. für den RU mit die wesentlichen.
Als positiven Aspekt dieses Modells sehe ich die Tatsache, dass wirklich sehr konkret und intensiv daran gearbeitet wurde, die oftmals divuse Glaubenseinstellung (von der die meisten Schüler nicht wissen wozu sie gut ist) zu hinterfragen und in den konkreten Berufsalltag hinein zu übersetzen.
Was bleibt?
Die Erfahrungen dieses Modellversuchs, in welchem der RU als Bestandteil eines alle Fächer umspannenden Lernfeldes angelegt ist, legen nahe, dieses Modell nicht als Grundkonzept für die gesamte Ausbildungszeit einzuführen. Gut vorstellbar ist jedoch ein ein- oder zweimaliger Einsatz dieser Konzeption innerhalb der gesamten Lehrzeit. Dabei sollte folgendes beachtet werden:
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Die Schüler sollten bei ihrer Ausarbeitung nicht bei Null anfangen müssen, sondern das, was sie zur Bearbeitung der Fragestellung brauchen in Grundzügen vom Lehrer erhalten.
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Aus dem Erarbeiteten muss nicht unbedingt eine PowerPoint-Präsentation werden, wie dies in den anderen Fächern zum Teil üblich ist. Erfahrungsgemäß überschattet der Technikaufwand die inhaltliche Auseinandersetzung.
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Die Aufgaben sollten so gestellt sein, dass die Schüler selbst zu problematisieren beginnen. Dies erreicht man bspw. durch die Forderung nach der Formulierung von Diskussionsimpulsen für die Gesamtgruppe.
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Sehr entscheidend ist, dass die Schüler in der Lage sind, alle Bereiche der Aufgabe zumindest zufriedenstellend zu erarbeiten. Kommen sie z.B. in einem Hauptfach nicht weiter, kippt das ganze Konzept.
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Sehr sorgfältige Planung und Organisation hinsichtlich der Präsentationen sind äußerst wichtig: Lieber weniger Religionsgruppen, evtl. bietet sich eine Kooperation mit einem anderen Fach an.
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Gute Zusammenarbeit des Lehrerteams ist unbedingte Voraussetzung, dazu gehören auch ein ausreichendes Maß an inhaltlicher wie zeitlicher Flexibilität.
Soviel zu diesem Versuch. Es war spannend und wird weitergehen. Für weitere Auskünfte stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Trö